18.06.2017 – Buchblog Leif Inselmann

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Zu was führt Nihilismus – zu Resignation oder Hoffnung, Anstand oder Verbrechen?

Die Geschichte „Fünf Minuten: Ein Tagebuch“ von Ian Cushing beweist, dass all dies sich keinesfalls ausschließen muss. 56 Kindle-Seiten umfasst das e-book – ein eher kurzes Vergnügen, doch zweifellos ein Lesegenuss.

Geschrieben in Form eines Tagebuchs, halb Autobiografie, halb Manifest, berichtet darin ein namenloser Erzähler von seiner Lebens- und Leidensgeschichte. Eine unauffällige Person war er, vierzig Jahre lang – verheiratet, mit einem wenig geliebten Job gesegnet, sozial und doch introvertiert. „Der Tod ist die einzige Gewissheit im Leben“ – diese nihilistische Erkenntnis hat er längst zum Lebensmotto erhoben. Er hält es mit den Existentialisten, denen zufolge die Entscheidungsfreiheit des Menschen das einzige ist – und merkt doch, dass er selbst nichts aus seinem Leben gemacht hat. Etwa die Hälfte des Buches lässt er den Leser vor allem an diesen seinen Geisteshaltungen teilhaben, erst danach beginnt sich so etwas wie eine konkrete Handlungsebene abzuzeichnen. Was freilich nicht heißt, der Rest sei uninteressant gewesen; im Gegenteil, die pointierte Ausdrucksweise macht auch die bloße Selbstreflexion des Erzählers absolut unterhaltsam. Obwohl (oder vielmehr weil?) diese Ansichten von denen der meisten Menschen abweichen, konnte ich mich mit so manchen Aussagen nur allzu gut identifizieren. In der zweiten Hälfte schließlich kommt es zu wirklichen Ereignissen, als unerwartete Situationen den Protagonisten zu spontanem Handeln nötigen. Dem irgendwie nur allzu nachvollziehbaren und doch nach allgemeiner Ansicht wohl verwerflichen Handeln eines Menschen, der alle Werte schon längst begraben, der im Angesicht der allgemeinen Sinnlosigkeit nichts mehr zu verlieren hat, freilich ohne dabei jemals ein bösartiger Mensch geworden zu sein. Hier zahlt sich aus, dass der vorherige Abschnitt mit dem Berichten eines nur allzu gewöhnlichen Mannes mit einer nur allzu gewöhnlichen Vorgeschichte und lebendigen Innenansichten einen beeindruckenden Realismus gezeichnet hat, von dem auch nun kaum abgewichen wird. Eine Geschichte ist es, die hypothetisch durchaus passieren könnte, eben weil all ihre Prämissen so menschlich, so real und alltäglich sind. Gelegentlicher Witz und eine Reihe von Literatur- und Filmbezügen garnieren den Unterhaltungswert noch zusätzlich. Es sei nicht zuletzt noch einmal hervorgehoben, dass, obwohl im Self-Publishing erschienen, die Schreibqualität von „Fünf Minuten“ absolut mit den meisten Verlagsveröffentlichungen konkurrieren kann.

Hier müsste für eine differenzierte Bewertung fairerweise noch irgendein Einwand kommen, doch fiel beim Lesen keiner auf. Die Kürze und der lebendige Stil beugen Längen und Langeweile vor, das Thema ist interessant und realistisch inszeniert. Mit Ian Cushings „Fünf Minuten“ (der Titel erschließt sich übrigens erst auf der letzten Seite) kann man nichts falsch machen – die Geschichte garantiert eine hervorragende Lesestunde, nicht nur für Philosophen und Nihilisten.

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