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Absorption – verschlingen- aufsaugen.
Wie schon bei der »Träne der Zauberschen« ist das Cover ein echter Hingucker. Das Buch beinhaltet dreizehn Kurzgeschichten, wobei ich zwei davon nicht unbedingt als Kurzgeschichte ansehe, sondern eher als Gedanken des Autors zu Themen, die ihm am Herzen liegen.
Kein.Traum
Der Tod steht in deinem Wohnzimmer und möchte dich abholen. Aufgrund deines netten, aufgeschlossenen und symphytischen Wesens bekommst du eine Verlängerung, um dir einen letzten Wunsch zu erfüllen. Was wäre der deine? Karl hat sehr einen bescheidenen Wunsch den ich gut nachvollziehen kann, nur wären es bei mir Bücher. Die Geschichte hätte mir tatsächlich noch besser gefallen, wenn Ian Cushing hier die Titel der Alben genannt hätte. Dann könnte der Leser sich noch besser damit identifizieren und imaginär mit Karl über den Geschmack der ausgewählten Titel diskutieren. Schon diese erste Geschichte hat mich gefangen genommen. Nach einer Ausschreibung des Leseratten Verlages zu einer Anthologie mit dem Thema Tod, habe ich damals selbst einige Kurzgeschichten dazu verfasst. Man kann sich dem Thema vorsichtig, ängstlich, respektvoll aber auch humorvoll nähern. Ich denke, Ian’s Geschichte fällt in die letzte Kategorie, sie mahnt aber auch zu Bescheidenheit und Akzeptanz.
Das Königreich
Hierbei handelt es sich eher um eine Art Parabel. Ein Junge herrscht zusammen mit seinen Eltern über ein Königreich In jungen Jahren trifft er kindliche, naive Entscheidungen, die stets von Herzen kommen. Als seine Eltern sich von der Regenschaft zurückziehen, wird die Bürde des Regierens für den jungen Mann immer schwerer. Daher wird er von fünf Beratern unterstützt.Dies ist eine Geschichte, die einen darüber nachdenken lässt, ob man eher den Einflüsterungen der Menschen vertraut oder lieber seinem Herzen und seinen Gefühle folgt. Hier das richtige Verhältnis zu finden ist nie einfach. Einerseits möchte man nicht schwach erscheinen, auf der anderen Seite aber nicht unmenschlich oder grausam. Auch gerade aktuell gilt: Hören wir auf die Verschwörungstheoretiker oder bilden wir uns eine eigene Meinung und handeln nach bestem Wissen und Gewissen. »Fides« bedeutet Vertrauen und ist hier eine der Ratgeberinnen. Vertrauen wir also unserem gesunden Menschenverstand.
Prosit Neujahr
In dieser Kurzgeschichte treffen wir auf den Protagonisten Hank aus Pfuhlenbeck, der in mehreren Geschichten des Autors seine Lebensweisheiten zum besten gibt. Wie es so schön formuliert ist: »Vielleicht trinkt er gar nicht, weil er Alkoholiker ist; möglicherweise ist der Alkohol der Treibstoff, der seine Gedanken jenseits der normalen Grenzen transportiert.« Und es heißt doch auch »kleine Kinder und Betrunkene sagen stets die Wahrheit.«, also sollte man Hank wohl besser zuhören, wenn er seine Gedanken zum Jahreswechsel ( und später noch zur Politik) äußert.
Jenseits der Purpurnacht
Ein Jüngling ist unsterblich in ein Mädchen verliebt und möchte sie zur Braut. Doch der Vater verweigert seinen Segen. Um nicht ohne seine Geliebte leben zu müssen, richtet er den Dolch zuerst gegen sie, dann gegen sich selbst. In alle Ewigkeit sollen sie zusammenbleiben, denn seine Liebe ist unendlich.Was Unendlichkeit wirklich bedeutet, wird ihm allerdings erst danach klar. Ich liebe diese Geschichte, weil es eine indirekt Fortsetzung einer Kurzgeschichte von Mi Schäfer ist. Dort, wo ihre endet, beginnt Ian Cushing mit der seinen. Und er raubt uns alle Illusionen.
Eine Laune der Natur
Hier kommen wir zu meiner Lieblingsgeschichte in diesem Band. Denn sie ist eine Hommage an die Großen der Horrorliteratur. Ich gebe ehrlich zu, dass ich eher die »modernen« Gestalten erkannt habe als Larry Talbot oder Jak Griffin aber ich bin auch nicht unbedingt ein Fan der Horrorliteratur. Nichtsdestotrotz kennt wohl jeder Dracula, Imhotep oder auch den großen Frank. Eine wunderschöne »was wäre wenn Geschichte«, die uns sagt, dass man mit guten Freunden nie alleine ist.
Beste Zeit
Was haben die unscheinbare Simone Müller und der charismatische Geheimagent John Miller gemeinsam? Das erschließt sich dem Leser erst nach und nach. Die Geschichte berührt, macht traurig, gibt aber auch einen Hauch Hoffnung und Trost, für alle, die sich dem Thema stellen müssen. (Ich sage jetzt extra nicht welches). Und Leser der Zauberschen werden hier einige Personen widererkennen.
Versteckspiel
Viele Mythen und Legenden in allen Kulturen befassen sich mit dem Thema Seelenverwandschaft. Dass man DEN einen Menschen findet, mit dem man eins sein kann. Der einen ohne Worte versteht und einem direkt ins Herz blickt. Isis und Osiris, Tristan und Isolde, auch viele Märchenfiguren haben dieses Thema zu eigen. Was, wenn die Liebe wirklich vorherbestimmt ist und eines Tages ein kleiner, dicklicher, nette Mann in deinem Zimmer erscheint und dir dazu eine Geschichte erzählt?Eine wunderschöne Idee, in der viel Glaube an die Kraft der Liebe steckt. Liebe, die leider oft im Alltag verloren geht, von Banalem überschattet wird. die aber stets anwesend ist und letztendlich die Kraft hat, zwei Menschen auf ewig zu verbinden (eigentlich das Gegenteil von jenseits der Purpurnacht)
Gesichter in der Menge
Dies ist eine der zwei Geschichten, die für mich keine Kurzgeschichte ist sondern eigene Gedanken des Autors zumThema Vorurteil. Was passiert, wenn man nur auf die Fassade eines Menschen schaut und niemals dahinter. Was wir mit unserer Kurzsichtigkeit Engstirnigkeit und unseren Vorurteilen alles verpassen. Dies sollte jeder lesen und darüber nachdenken. Offen auf Menschen zugehen bedeutet, seinen Horizont erweitern…lernen….verstehen.
Man erntet was man sät
Und wieder treffen wir auf Hank, der auch dieses Mal kein Blatt vor den Mund nimmt und frei weg von der Leber redet. Die ist ja eh einiges gewohnt. Mit dieser Geschichte hatte ich etwas Probleme und kann es nicht so richtig in Worte fassen. Meines Erachtens gehört das Thema nicht in so eine Kurzgeschichtensammlung, es sollte aber durchaus darüber geredet und nicht totgeschwiegen werden. Sie stört den poetischen und schönen Ablauf des Buches aber vielleicht hat der Autor gerade das gewollt. Aufrütteln, wach machen, hinweisen und deutlich zeigen, was nicht gehen kann und darf. Wie gesagt, ich stimme dem zu aber hier stört es den leisen, behutsamen Fluss von wunderschönen, traurigen, berührenden und nachdenklich stimmenden Geschichten.
Home invasion
Ein Mann steht am Fenster seines Hauses und beobachtet, wie sich immer mehr Personen vor der Haustür zusammenrotten Er befürchtet einen Überfall und versucht, seine Frau und seine Kinder in Sicherheit zu bringen. Doch die Angst schnürt ihm die Kehle zu.Das ist sicher die unterhaltsamste und lustigste Geschichte dieser Sammlung, vielleicht sogar etwas boshaft. Man mag nicht darüber nachdenken, wie es um des Autors Familienleben aussieht.
Zuckerperlen
Was ist Glück? Erkennen wir diese kostbaren Momente des Glücks im Grau des Alltags überhaupt? Auch diese Geschichte ist für mich eher ein Denkanstoß des Autors an seine Leser. Sich wieder bewusst zu werden, dass es mehr schöne Dinge im Leben gibt als man sieht. Das wir verlernt haben hinzuschauen. Ich werde mir diese Geschichte zu Herzen nehmen und wieder genauer hinsehen, die kleinen Momente sammeln und genießen. Dieses Buch ist so ein Moment. (ok ein längerer Moment, da sich die Geschichten nicht ein einem kurzen Moment lesen lassen)
Leere
Diese Geschichte, sofern man es so nennen kann, dreht sich eigentlich nahtlos an Zuckerperlen an und behandelt indirekt das gleiche Thema. Aus der Tretmühle heraustreten, Atmen, sich bewusst werden, die ausgetretenen Pfade der Öde, Langeweile, Erwartungen verlassen.
Wie Manfred Man’s Earthband es singt:
And nothing ever happens, nothing happens at all
The needle returns to the start of the song
And we all sing along like before
And we’ll all be lonely tonight and lonely tomorrow
Der Spuk
Hier handelt es sich um die schaurigste Geschichte des Bandes, sie erinnert sehr an die Atmosphäre in »die Träne der Zauberschen« und spielt ebenfalls in Pfuhlenbeck. Wir treffen auf Dirk, Jan und Marcus, als sie noch viel jünger sind. Doch sie beginnt mit Sarah und Frank. Frank ist siebzehn Jahre älter als die labile, drogenabhängige Sarah. Er macht es sich zur Aufgabe, sie zu retten, dabei verlieben sie sich und werden ein Paar. Sarah Wunsch ist es, Frank zu heiraten und eine Familie zu gründen. Der Traum scheint in Erfüllung zu gehen, verwandelt sich aber nach und nach in einen Alptraum.
Für mich nicht die schönste dafür aber die spannendste und schaurigste Geschichte in dieser Sammlung. Ian Cushing schafft es auch hier, wie schon in seinem Roman, den Leser voll in seinen Bann zu ziehen. Das Grauen schleicht still, heimlich und leise an und zurück bleibt Entsetzen. Stilistisch ist hier absolut nichts auszusetzen.
Mich hat es sehr beeindruckt, dass Ian Cushing es schafft, jeder Geschichte eine eigene Sprache zu geben. Man hat nicht das Gefühl dreizehn Geschichten nur eines Autors zu lesen sondern diverser Autoren. Mal raubeinig, mal zart und gefühlvoll, dann wieder nachdenklich oder märchenhaft aber auch grausam und brutal. Der Autor passt sich seinen Erzählungen an und findet immer die richtigen Worte. Ich habe einige Denkanstöße mitgenommen und lege dieses Buch jedem ans Herz, der außergewöhnliche Geschichten mag und der sich nicht scheut, sich selbst zu hinterfragen.
Neben dem wirklich beeindruckenden Cover befinden sich immer Inneren des Buches noch – vor jeder Kurzgeschichte – eine passende kleine Illustration, quasi das Herz jeder Erzählung bildhaft dargestellt. Cover, Illustrationen und Worte bilden eine perfekte Symbiose.
Ich bedanke mich ganz herzlich für das schöne Rezensionsexemplar mit persönlicher Widmung. Man fühlt sich als Blogger dadurch wertgeschätzt.