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Pro: Grundlegend eine gute Idee für eine Story.
Kontra: Es fehlt an Mut zur Dramatik, sodass alles ein wenig belanglos vor sich hin plätschert. Außerdem wirkt der Tagebuchstil unpassend.
Wertung: 2.5 / 5 – durchschnittlich
Review
Wenn ein Mittvierziger ein Tagebuch über einen namenlosen Mittvierziger schreibt, liegt die Vermutung nahe, dass die Geschichte autobiografische Züge haben könnte. Im Fall von Ian Cushings „Fünf Minuten“ ist zu hoffen, dass diese fixe Idee nicht der Wirklichkeit entspricht, denn auf den rund 60 Seiten schält er Stück um Stück einen soziopathischen Charakter aus der gutbürgerlichen Pelle.
Ungewöhnlich für das Tagebuchformat beginnt der Protagonist zunächst mit einer ausführlichen Rückschau auf sein Leben, das ihn schließlich zu einem von Unmut geprägten Mittvierziger hat werden lassen. Eine von Zufriedenheit geprägte, behütete Kindheit, in der Strebsamkeit und durchschnittliche Erwartungshaltungen der Eltern die größten Probleme des jungen Unbekannten waren, legt den Grundstein der morbiden Persönlichkeitsentwicklung. So ganz wird nicht ersichtlich, warum das, was sich augenscheinlich im tolerablen Durchschnittsbereich mitteleuropäischer Kindererziehung befindet, grundlegend für die späteren Taten sein sollte. Aber immerhin erhält der Leser den Eindruck, dass dieser jemand angepasst ist. Sein will. Und mit guten Gaben auf den Weg geschickt wurde.
Gute Gaben, aus denen eigentlich ein gutes Leben folgte. Ein fester Job, eine Ehefrau. Doch geben wir es zu, das Leben macht mürbe. Wir wissen nicht, welche Kunden den unerschöpflichen Empathievorrat des Unbekannten haben schmelzen lassen, aber er ist weg. Nun trifft ihn die tägliche Arbeit, bis er schließlich ausgehöhlt zurückbleibt. Ohne Muse für Hobbys und Freude schenkt ihm schließlich der Besuch bei einer Totkranken auf perfide Art und mit viel Alkohol in Softdrinks neuen Lebensmut. Der Anfang vom moralischen ‑ nicht tatsächlichen! ‑ Ende.
Bis dahin erscheint die Geschichte tiefgründig. Die Auseinandersetzung mit den Erlebnissen in dieser Krankenzelle böte genug Stoff für zahllose weitere Tagebucheinträge, aber Cushing entscheidet anders. Er schickt seine Figur nicht zur Einkehr nach innen, sondern zum weiteren Erleben (und Handeln) in die Welt. Und ab diesem Zeitpunkt driftet die Story ein bisschen in die Effekthascherei ab. Zugegeben, erwartet hätte ich diese Wendungen nicht. Dennoch bleiben die Überraschung und auch die Spannung durch die Art der Erzählung auf der Strecke. Vielleicht ist es dem Tagebuchstil geschuldet?
So ganz erscheint dieses Format der Geschichte sowieso nicht angemessen. Insgesamt 21 Tagebucheinträge über einen Zeitraum von rund zwei Jahren sind schon unglaubwürdig für ein echtes Tagebuch. Störend ist beim Lesen dann aber vor allem die Sprache. Wenig Gefühl, eher im Stil eines Berichtes verkommen die doch eigentlich persönlichen Beiträge zu reinen Beschreibungen von Taten. Gut, theoretisch wäre bei einer entsprechenden Persönlichkeit auch dieser Stil denkbar, aber dafür wirkt der Namenlose einfach nicht neurotisch genug.
Bleibt unterm Strich das Gefühl, dass sich Cushing hier mehr hätte zutrauen dürfen. Mehr von der Story, mehr von echten inneren Einblicken. Aus Perspektive seiner Figur auch mehr Reflexion ‑ oder das Gegenteil, mehr Blindheit der eigenen Handlungen gegenüber. Und schließlich auch: Mehr zu lesen. Denn der Leser verbringt hier zwar etwas mehr als „Fünf Minuten“, dürfte am Ende aber trotzdem etwas unbefriedigt aus dem Genuss hervorgehen. Vielleicht könnte man den Inhalt auch in ein anderes Format übertragen und damit die Moral von der Geschichte weiter hervorkitzeln.
Für den kleinen Lesehunger zwischendurch darf der geneigte Fan von Tagebüchern und Thrillern seine Nase trotzdem in diese „Fünf Minuten“ versenken. Versuch macht kluch!