S. Sagenroth – Monsieur Lucile und die Suche nach dem Glück

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Nach vier Bänden ihrer A. S. Tory-Reihe beglückt uns S. Sagenroth mit einem neuen Buch, welches sich dem Glück der Glücklosen widmet.

Eine herrlich bunte Truppe begibt sich auf eine Reise durch die Zeit, um Glück und Liebe zu finden.
Oma Elsa, eine renitente Dame gehobenen Alters, sagt dem Leben im Altenheim Tschüssikowski und nimmt ihre verpeilte Enkelin Luisa, den erfolglosen und unglücklichen Autor Frederic und den Altrocker Fiete mit auf eine Reise, die ihresgleichen sucht. Oma Elsa hat nämlich ein Geheimnis:
Dank der langjährigen Bekanntschaft mit einem mysteriösen Zeitreisenden und einem besonderen Artefakt reist die Reisegruppe durch die Zeit und landet in Paris zur Weltausstellung, wo sie nicht unmaßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Picasso seine »Blaue Phase« beginnt; trifft Ende der 1920er Jahre Bertholt Brecht bei der Premiere der »Dreigroschenoper« in Berlin, kifft sich munter durch das legendäre Woodstock-Festival und wohnt der Geburt der Tschechischen Republik bei.
Da selbstredend nicht immer alles glatt läuft, muss sie sich gegen dunkle Einflüsse wehren, um letztendlich die Reise erfolgreich beenden zu können. Aber Freundschaft, Glücksempfinden und Liebe lassen die vier Zeitreisenden (inklusive zwei Ersatzspielern und Kater Chomsky) triumphieren.

Die unterschiedlichen Charaktere – wenig überraschend für diejenigen, die mich kennen, sympathisiere ich stark mit Fiete (oder Chomsky) – sind das Salz in der Suppe und auch die sich anbahnende Liebesgeschichte (und ich Romance und sowas nicht sonderlich spannend zu lesen finde), findet auch das in der perfekten Dosierung, ohne Peinlichkeit und Plattitüden, statt.

Obwohl Frau Sagenroth vermutlich erst weit, weit, weit nach Woodstock geboren sein dürfte, vermittelt sie die Stimmung der einzelnen Epochen ganz hervorragend. Es muss eine Menge Recherchearbeit gekostet haben, sich die vielen Details der Weltausstellung, der Ringvereine des Berliner Untergrunds oder auch des Woodstockfestivals so zu verinnerlichen, um diese Zeiten und Besonderheiten so lebendig präsentieren zu können.
Auch ist es ihr grandios gelungen, mich auf eine Zeitreise an sich mitzunehmen. Zeitreisen in Büchern und Filmen sind stets die Paradedisziplin, an der man großartig scheitern kann; aber wenn man, wie bei »Monsieur Lucile und die Suche nach dem Glück«, die Reise antritt, weil sie einfach so zu sein hat, ist das Phantastik feinster Güte.

Neben den geschichtlichen Aspekten kommen auch philosophische Gedanken nicht zu kurz. So sagt der Zeitenwandler an einer Stelle:

»Nichtsdestotrotz neide ich ihnen den Schaffensprozess, die kreativen Schübe, wenn sie ganz weggetragen sind, umwölkt von ihrer Musik, der Sprache oder ihren Bildern und darstellenden Werke.«

Und Oma Elsa gibt ihrer Enkelin den Rat:

»Ja, es geht, sobald du loslässt, sobald du sagst: Egal, was daraus wird. Ich habe meinen Spaß. Und den hast du in dem Moment, da du nicht mehr nach dem Warum und Wofür und was wird daraus, fragen wirst.«

Mich erinnert die Haltung an Albert Camus, der im »Mythos des Sisyphos« sagt, dass

»[…] die letzte Anstrengung für […] Künstler darin besteht, sich auch von ihren Unternehmungen befreit zu wissen: zu dem Eingeständnis zu gelangen, dass das […] Kunstwerk […] nicht sein MUSS und so die tiefe Nutzlosigkeit allen individuellen Lebens zu vollenden. Gerade das gibt ihnen mehr Leichtigkeit bei der Verwirklichung dieses Werkes, wie die Erkenntnis der Absurdität des Lebens ihnen das Recht gab, sich mit allen Ausschweifungen hineinzustürzen.«

Während manchem*r Leser*in in der Gedanke Camus’ vielleicht negativ erscheinen mag, ist es genau das Gegenteil. Das Versinken in einen kreativen Schub, die vollständige Umwölkung mit dem eigenen kreativen Handeln, ohne Konsequenzen zu bedenken oder heraufzubeschwören, ohne sich selbst als Nabel der Welt zu betrachten, und seine Kunst oder sein Handwerk überzubewerten, ist für mich wahres Glück und daher habe ich mich bei den Gedanken zu Hause gefühlt.

Weiter sagt der Zeitenwandler:

»Und das Höchste wohl ist, wenn die Freude des Zuschauers, Zuhörers oder Lesers auf seinen Schöpfer zurückfällt. Der Beifall, das Lob, die Bewunderung. Das ist der Moment, um den ich den Künstler wahrhaftig beneide.«

Wer, der jemals etwas Eigenes erschaffen und öffentlich zugänglich gemacht hat, könnte dieser Aussage auch nur im Ansatz widersprechen?

Die Playlist, die man ebenfalls in ihrem Buch findet, rundet das (Lese-)Erlebnis deutlich ab. Die Autorin webt ihre Liebe zur Musik gekonnt in ihre Geschichte ein, und was denkt ihr wohl, geschieht, wenn man beim Zeitsprung »Sympathy for the Devil« hört?

S. Sagenroth schreibt einfach großartig. Ihre Sätze fließen, die Geschichte kennt keine Hänger und wird stetig vorangetrieben, was das Buch zu einem echten Lesegenuss macht, den ich dringend benötigt habe, da mich eine Leseflaute fest in ihrer Gewalt hatte.
Frau Sagenroth ist ein Paradebeispiel für gewissenhafte Selfpublisher, die mit Leidenschaft, Hingabe und Sorgfalt beweisen, dass Bücher, für die der/die Autor*in von A bis Z selbst verantwortlich ist, mit jeder Verlagsveröffentlichung mithalten können.

Auch wenn Fiete zu der Erkenntnis gelangt – und ich diese Einstellung teile –, dass »die besten Dinge im Leben keine Gegenstände sind, sondern Momente, die du für immer in deinem Herzen trägst«, bin ich froh, dieses Buch im Regal stehen zu haben. Durch das Lesen hat sich der Gegenstand in einen Moment verwandelt, den ich nicht mehr missen möchte.

Jede*r, der/die in diesen Zeiten ein Feelgood-Time-Travel-Roadmovie nötig hat, sollte sofort zuschlagen. Oder wie Oma Elsa es sagen würde:

»Do it! Mach es einfach!«


[Es handelt sich bei „Meinen Gedanken zu anderen Büchern“ stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie auf, weil mir danach ist. Das geschieht rein freiwillig.]