Ilona Arfaoui – Die Kinder der Nacht

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»Der König der Schatten«, »Der Hexenmeister, die Macht und die Finsternis« und »Die Anderen« lauten die Titel der Trilogie aus Ilona Arfaouis Feder. Phantastik-Meisterwerke, die in Sachen Ideenreichtum, Umsetzung, Anspruch, Sprache und Gestaltung ein weitaus größeres Publikum erfahren müssten, als sie es tun.

Und jetzt treten »Die Kinder der Nacht« in unser Leben. Es ist ein völlig eigenständiger Roman, den man unabhängig von der Trilogie lesen kann. Doch für langjährige Wegbegleiter finden sich Referenzen an ihre vorangegangenen Bücher, vor allem »Die Anderen«, denn eine Nebenfigur aus diesem Buch hat in »Die Kinder der Nacht« eine Hauptrolle übernommen. Vorkenntnisse sind aber nicht notwendig, um sich von dieser Geschichte mitreißen zu lassen; vielmehr bin ich überzeugt, dass der/die Leser*in nach der Lektüre ohne zu zögern zu den anderen Werken der Autorin greifen wird, um
a) weiterhin in Ilona Arfaouis Stil zu versinken und
b) die Geheimnisse und Anspielungen zu erkunden und verstehen.
Lohnen wird es sich auf jeden Fall und ich weiß jetzt schon, dass ich in Zukunft mir alle Werke noch einmal nacheinander zu Gemüte führen werde.

Mit »Die Kinder der Nacht« entführt uns die Autorin überwiegend in den Kiez Stuttgarts, stellt uns »ihre« Stadt vor und lässt uns am tragischen Leben des erfolglosen Schriftstellers Killian »Dworschak« Dvorak teilhaben. Geschickt entwickelt sich die Geschichte und nach und nach erfahren wir mehr über den kettenrauchenden, gerne mal einen über-den-Durst-trinkenenden Vagabunden. Dabei ist es nicht nur die Hauptfigur, die mich begeistert, auch die Nebenrollen sind hervorragend herausgearbeitet. Es macht große Freude, an seinen Treffen mit Ophelia, Konrad oder Amadée teilzunehmen und ihren pointierten Dialogen zu lauschen.

Mit der Zeit wird sich beim Lesen ein ungutes Gefühl ausbreiten, wenn Dworschak nach exzessiven Tagen und Nächten erwacht und in seinem »schwarzen Logbuch« Geschichten aufgeschrieben findet. Geschichten, an die er sich nicht erinnern kann, sie aufgeschrieben zu haben.
Diese, auf mysteriöse Weise erschienen Geschichten, dürfen wir lesen; sie führen uns ins Jahr 1439 nach Frankreich, Irland (1845), erneut Frankreich (1789), Troja (1182 v. Chr.), Deutschland (1939-1942) und Russland 1918. Wer ein Gefühl für Geschichte hat, wird merken, dass es schicksalsträchtige Jahren waren, und Ilona Arfaoui gelingt es großartig, die Stimmungen der Zeit einzufangen, während sie uns erfahren lässt, wie diese Kinder auf tragische Weise zu Kindern der Nacht werden mussten. Die Autorin hat es schon immer meisterhaft verstanden, historische Ereignisse und Personen in ihre Geschichten einzuflechten, und auch bei diesem Buch ist es ein wahrer Genuss.
Die Geschichte macht nicht nur große Zeitsprünge in vergangene Epochen, nein, auch kürzeren Intervallen springen wir vor und zurück, bis sich die Seele Dworschaks vor uns entblättert und aus dem Mysterium seines Lebens ein Bild entsteht. Ein herzzerreißendes Bild von Schuld, Verdrängung, Reue und Sühne.
Mehr will ich nicht über die Geschichte verraten, mir ist wichtig, dass Ihr wisst, was Euch erwartet: Ein anspruchsvoller Roman voller Phantasie und Realität, historischer Fakten und einem Hauch Anderswelt.

Die Umsetzung ist mal wieder erstklassig und typisch Ilona Arfaoui. Mit Witz und Charme erzählt sie Geschichte; man fliegt durch die Zeilen und die Wortkreationen und die »Püppchensprache«, die sich durch die Geschichte zieht, ist erheiternd und stimmig. »Witz, Charme, erheiternd« … diese Facette sollte Euch allerdings nicht auf die falsche Fährte locken, denn genauso ist die Geschichte düster, tragisch und verzweifelt.
Ebenso finden sich viele kleine Referenzen an klassische Musik, moderne Filme, Maler und Autoren. Wie auch bei Haruki Murakami inspiriert mich das, nach diesen Namen und Werken im Internet zu suchen und meinen Horizont zu erweitern.
Die Geschichte und ihr Ausgang lassen Raum für eigene Gedanken. Für den Erstleser genauso wie für den langjährigen Fan. Und das liebe ich.

Ganz wunderbar fügen sich auch die sechs Illustrationen in das Gesamtbild ein, die die Autorin selbst gezeichnet hat. Oder war es die »Blumen-Flatter-Kleid« tragende und nach »scheußlichem Parfüm duftende« Ophelia?

Im Rahmen einer aufrichtigen Meinungsäußerung komme ich nicht umhin, die typographischen Ausrutscher zu erwähnen, die sich durch das Schreibprogramm im Bereich der Silbentrennung ab und zu eingeschlichen haben.

Nun … »Die Kinder der Nacht« ist das letzte Werk der Autorin, da sie beschlossen hat, den Füllfederhalter an den Nagel zu hängen. Diese Entscheidung sehe ich mit einem lachenden und weinendem Auge. Ich bin Ilona Arfaoui sehr dankbar für ihre Bücher, die ich so oft genießen kann, wie ich will; sie hat Großes erschaffen, einen Anspruch in das Selfpublishing gebracht, der mich vor Ehrfurcht erblassen lässt, und als Hobbyautor kann ich diese Entscheidung vollkommen nachvollziehen.
Andererseits werde ich (und Ihr) wohl nicht mehr in den Genuss neuer Geschichten aus der Anderswelt (ich bin übrigens überzeugt, dass Ilona Zugang zu ihr hat) kommen. Als Fan blutet mir »so total echt« das Herz.

Ach ja, den brutalsten Satz des Buches muss ich noch mit Euch teilen. Aber seid gewarnt, der ist nichts für schwache Nerven. Ich übernehme keine Verantwortung, wenn Ihr beim Lesen des Satzes ohnmächtig werdet, okay? Weiterlesen auf eigene Gefahr:

»Eine Flasche mit uraltem Scotch
und das Glas eines nagelneuen Bilderrahmens
gingen dabei zu Bruch.«

Liebe Ilona: Der Bilderrahmen ist mir schnurz, aber wie kannst Du das dem (uralten!) goldenen Freund antun?

Wer meine Rezension bis hierher gelesen hat, weiß, dass es sich bei dem Buch (wie auch den Vorgängern) um eine absolute Kaufempfehlung handelt. Ich weiß, dass ich niemanden zu seinem Glück zwingend kann, aber es gerne würde. Wer Ilona Arfaoui und ihrer Anderswelt ein Mal in die Fänge gegangen ist, wird garantiert süchtig.

Markus Heitkamp (Hrsg.) – German Kaiju / Operation M.E.L.B.A. / VerDAMNt!

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Willkommen in der Welt des »German Kaiju«!
»Wo bitteschön?«, denkt ihr vielleicht. Vielleicht auch nicht. Für die, denen der Begriff nichts sagt, fange ich mal vorne an.
»Kaiju« ist ein japanisches Wort für »seltsame Bestie«. Japan, Bestie? Na … jetzt sollte es klingeln, oder? Wenn ich den folgenden Namen nenne, werdet ihr euch alle mit der flachen Hand an die Stirn klatschen und sagen: »Warum sagst du das nicht gleich?«
Godzilla. (Klatsch – Ich kann es förmlich hören.)
Godzilla dürfte der berühmteste Vertreter des Genres sein. Zusammen mit Mothra (’ne Motte) oder Gamera (was sowas wie eine Schildkröte darstellt). Und auch ein gewisser King Kong darf natürlich nicht fehlen, was nicht nur dem aktuellen Franchise geschuldet ist. Also, kurzum: Kaijus sind Tiere, die deutlich riesiger sind, als sie eigentlich sein sollten und überwiegend im Kino gehuldigt werden.

Der Kaiju-Kult existiert zwar in Deutschland, aber es gab bis vor Kurzem (2019) keine ernsthaften deutschen Druckerzeugnisse zu diesem Thema. Das wiederum wollte Markus Heitkamp so nicht ohne Weiteres hinnehmen und hat sich mit dem Leseratten Verlag zusammengetan. Und daraus entstand »German Kaiju«. Riesige Monster, die deutsche Großstädte unsicher machen. (Ein richtig deutsches Monster [mit Sandalen und fleischfarbenen Socken] habe ich zwar nicht in den Geschichten gefunden, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Auf den Credit bestehe ich aber!)
Einige der Monster legen aufgrund ihrer exorbitanten Größe gerne mal ganze Städte in Schutt und Asche, während sie eigentlich nur von A nach B wollen; andere sind von Natur aus garstig; wiederum andere sind schrecklich hungrig und dann gibt es welche, die wollen nur spielen. Manche stammen aus Labors, manche sind durch Zufall entstanden und manche sind aus fernen Galaxien angereist, um die schöne Erde zu besuchen. Woher sie kommen, warum sie da sind, und was sie wollen, lässt herrlich viel Spielraum für die Fantasie der Autoren und Filmemacher.

Nun mag man leicht denken, dass das doch alles nur oller Quatsch ist. Godzilla (der alte) ist ein Mann im Gummikostüm, die alten Filme (nach heutigen Sehgewohnheiten) für das breite Publikum eher so lala. Aber ich sage euch, Brüder und Schwestern, so fing es mit den Zombies auch an. Vom Untergrund-Phänomen, vom Pfui-Bäh-B-Movie, aus der sumpfigen Subkultur auferstanden, um die Massen zu fesseln und zu begeistern. Nicht umsonst verdient man sich heute mit dem MonsterVerse ein güldenes Näschen und just dieser Tage strömen Millionen Menschen in die Kinos, um King Kong und Godzilla auf ihrem nächsten Abenteuer zu begleiten.
Die Parallelen existieren und ich denke, wenn man bei all dem Spaß, den man beim Schreiben dieser Geschichten haben sollte, mit der notwendigen Ernsthaftigkeit an die Sache herangeht, ist es eben kein »oller Quatsch«, sondern eine liebevolle Hommage an ein Genre, ein Impuls, der diese Art der Geschichten zu neuem Leben erweckt. Ob Zombie oder Kaiju.
Huch, wo war ich? Ach ja.

Mittlerweile existieren zwei Anthologien und eine Novelle im German-Kaiju-Universum, die ich euch etwas näherbringen möchte.

Den Anfang macht das schlicht betitelte »German Kaiju«. Wer hätte das gedacht? Ganze drei Vorwörter (es gibt halt viel zu dem Thema zu sagen und zu erklären) und neun Kurzgeschichten randalieren auf 378 Seiten. Vielmehr die Monster, weniger die Kurzgeschichten per se und schon gar nicht die Vorwörter. Aber es geht heiß her, wenn u. a. Autoren*innen wie Thomas Williams, Hanna Nolden & Markus Heitkamp, Tom Daut oder Simona Turini zur Monsterhatz bitten. Geprägt ist der erste Band von einem respektvollen Umgang mit dem Erbe; was heißen soll, dass unzählige Menschen gefressen werden und etliche Städte in Flammen aufgehen, während der kleine Mensch alle Waffen auf das Wesen richtet, die er finden kann. Ob nun Riesenroboter aus dem Weltall, ein riesiger Wurm, der dem Flughafen BER zusetzt, Pflanzen, die sich holen, was ihnen zusteht (und noch etwas mehr) oder die Großen Alten, die nur von einer Frau gestoppt werden können (einer dementen Dame im Altenheim) … Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass die Autoren*innen sich der Verantwortung bewusst waren, ein (oftmals und zu Unrecht) belächeltes Genre zu reanimieren. Und in meinen Augen hat es geklappt, denn durch die individuelle Qualität der Autoren*innen hat mich jeder Geschichte auf ihre Weise blendend unterhalten.
Besonders erwähnen muss man »Hansebiker gegen Mutant X« von Hanna Nolden & Markus Heitkamp. Warum? Weil Markus Heitkamp die Triebfeder hinter dem German-Kaiju-Projekt ist, und die Geschichte den Grundstein für die folgenden zwei Veröffentlichungen legt. Die Protagonisten der Story bekommen mit »Operation M.E.L.B.A.« (oder mit korrekter Groß-Kleinschreibung »m.Elb.A« – ich liebe den Teil in der Geschichte, in dem sie darüber diskutieren!) ihre eigene Novelle und es werden neue Figuren eingeführt, die sich anschließend quer durch die dritte Veröffentlichung ziehen und der Dienststelle einen Namen geben.

»Operation M.E.L.B.A.« mit seinen 132 Seiten ist ein echter Lesegenuss. Die Story ist fast schon klassisch: Ein monströser Wels und seine beiden Aal-Kumpels randalieren sich die Elbe entlang und die geheime Dienststelle der Wasserschutzpolizei, die zwar keinen Namen, aber immer ein Fläschen Kräuterlikör parat hat, muss sich wohl oder übel der Aufgabe annehmen. Zusammen mit Professor Honda, den Geschwistern Iona und Ion, einer gehörigen Portion Humor und reichlich Sarkasmus haben Friedhelm Jansen und Hein Dierks dabei alle Hände voll zu tun.
Die Story ist unterhaltsam, unglaublich amüsant und witzig geschrieben und ich mochte die verschiedenen Charaktere mit all ihren Fehlern und Unzulänglichkeiten auf Anhieb.

Umso schöner war es, als sie dann auch in »German Kaiju – VerDAMNt!« auftauchten und sich beim Lesen dieser Geschichten ein Gefühl wie Klassenfahrt mit Monstern in mir breitgemacht hat. War der erste Band eine Sammlung verschiedenster Ideen und Charaktere, gibt es seit »Operation M.E.L.B.A.« einen lockeren roten Faden, der sich durch viele (nicht alle) Geschichten zieht. Yeah, I like it.
Der Ton der Geschichten verändert sich im Vergleich zum Erstling ein wenig. Sprach ich vorhin von der Verantwortung, ein belächeltes Genre zu reanimieren, spürt man hier deutlicher, dass die Autoren*innen sich dieses Genre nun mutiger zu eigen machen, leisere Töne anschlagen, oder es gigantisch krachen lassen. Die Geschichten in »VerDAMNt!« »fühlen« sich selbstbewusster an. Vielleicht bin ich auch verstrahlt, aber das habe ich halt beim Lesen der Storys gefühlt.

Neben erneut drei Vorwörtern warten diesmal zwölf Kurzgeschichten auf den Leser. Am klassischsten kommt die Story »killing.exe« (Andreas Zwengel) daher: Eine durch Chemieabfälle mutierte Echse sorgt für Zerstörung … der Stoff, aus dem die Kaiju-Träume sind. »Free Meggi Gefräßiger Schrecken aus dem See« (Sarah König) und »Der Meggie-Heist« (Ralf Kor) gehören zusammen und ergänzen sich hervorragend aus verschiedenen Perspektiven, während man den musikalischen Megalodon auf seiner Zerstörungstour durch Münster begleitet. Ungewöhnlich ist die Geschichte »Bruderliebe – Blut ist dicker als Meerwasser« (Carolin Gmyrek); ungewöhnlich heißt in diesem Zusammenhang aber auch verdammt gut! Und mit »Krebirah – Terror aus der Tiefe« (Markus Heitkamp) hält Science-Fiction Einzug in die Anthologie.
Die Geschichten in »German Kaiju – VerDAMNt!« sind thematisch deutlich abwechslungsreicher als im Erstling und dadurch hat mich die Anthologie noch mehr begeistert.

Was mich ebenfalls begeistert, ist die Aufmachung der Anthologien. Englische Broschur, eine Landkarte mit den betroffenen Städten, Illustrationen von Christian Günther, die den Geschichten vorangestellt sind – genau wie die äußerst witzigen Kurzvorstellungen jedes*r Autoren*in. Hier wurde wirklich mit sehr viel Liebe zum Detail gearbeitet. Ach ja, dass es einen farbigen Buchschnitt hat, will ich wenigstens nicht unerwähnt lassen.

Ich bin gespannt, ob – und würde mich freuen, wenn – es in Zukunft noch öfter was von Jansen, Dierks, Professor Honda und Iona zu lesen geben wird.


German Kaiju / 378 Seiten / Taschenbuch 20 Euro, eBook 14,99 Euro
Mit Vorwörtern von Detlef Claus, Markus Heitkamp, Marc Hamacher
Mit Geschichten von:
Thomas Heidemann »Nakama, der Schrecken vom Mond«
Wolfgang Schroeder »Chaodoru – Das Grauen aus der Tiefe«
Tom Daut »Der Keim«
Torsten Scheib »Symbiogenese«
Thomas Williams »Frankensteins Raketenmonster im Blutrausch«
Hanna Nolden & Markus Heitkamp »Hansebiker gegen Mutant X«
Simona Turini »Flammen über Karlsruhe«
Finley »Gun« McKinley »Saibotoru greift an«
Markus Kastenholz »Die Großen Alten«

Operation M.E.L.B.A. / 132 Seiten / Taschenbuch 12 Euro, eBook 4,99 Euro
von Markus Heitkamp
Mit Vorwort von Henning Strauß

German Kaiju – VerDAMNt! / 370 Seiten / Taschenbuch 20 Euro, eBook 9,99 Euro
Mit Vorwörtern von Timo Rose, Markus Heitkamp, Christian von Aster
Mit Geschichten von:
Andreas Zwengel »Killing.exe«
Claudia Rapp »Falsch gemischt ist halb gestorben«
Sarah König »Free Meggie – Gefräßiger Schrecken aus dem See«
Ralf Kor »Der Meggie-Heist«
Carolin Gmyrek »Bruderliebe – Blut ist dicker als Meerwasser«
Markus Heitkamp »Krebirah – Terror aus der Tiefe«
Rafaela Creydt »Saat des Verderbens«
Isa Theobald »Die freundlichen Tentakel aus der Nachbarschaft«
Marina Heidrich »Love Hurts«
Tanja Kummer »Falter Royale«
Thorsten Küper »Sie werden alle sterben …«
Thomas Williams »Wahre Monster«


[Es handelt sich bei »Meinen Gedanken zu anderen Büchern« stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie auf, weil mir danach ist. Das geschieht rein freiwillig.]

Michael Leuchtenberger – Die Empfänger

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Nach »Caspars Schatten« ist »Die Empfänger« das zweite Buch von Michael Leuchtenberger, welches ich mit Genuss gelesen habe. (Und »Pfad ins Dunkel« steht bereits in den Startlöchern.)

»Die Empfänger« enthält elf Kurzgeschichten der überwiegend phantastischen Art. Die Geschichten bieten Grusel und Phantastik, aber auch Alltagsszenen und – was durchaus bemerkenswert ist – alle können bei mir punkten.

Sprachlich exzellent (und den Erfordernissen der Geschichten und Stimmungen angepasst) lässt er uns Geistern begegnen, führt uns durch ein Museum, schickt uns auf einem Rummel auf eine Wildwasserfahrt und versäumt es dabei nicht, zu überraschen, zu gruseln oder nachdenklich zurückzulassen.
Neben den »klassischen« (»Am Ypsilon links«, »Wo ist Lex« oder »Kohlmanns Spielwaren«) mag ich besonders die leisen Geschichten, die wahrlich nachklingen: »Die Stunde ist um« und »Die Kapsel«. Die beiden Storys zeigen, dass noch sehr viel mehr im Autor schlummert, als wir bis jetzt von ihm kennen.

Was ich an Michael Leuchtenberger bewundere, ist seine Fähigkeit auf sehr wenigen Seiten – die Geschichten sind zwischen fünf und sechzehn Seiten kurz – stets eine Atmosphäre zu kreieren, die mich vom ersten Satz an mitgenommen hat. Die Protagonisten haben stets genug Substanz, um nicht unter den phantastischen Ideen des Autors begraben zu werden, und die Geschichten sind rundum gut erzählt.

Umgesetzt ist das Buch … ich möchte eigentlich nicht »perfekt« sagen, weil ich nicht an Perfektion glaube … absolut erstklassig. Der Buchsatz ist sehr gelungen (mein Lesevergnügen bei einem Buch hängt nicht unwesentlich von einem guten Buchsatz ab) und das Cover ist genauso mysteriös wie die Geschichten.

Wer Kurzgeschichten liebt, sich gern auf phantastische Geschichten einlässt und den eigenen Gedanken nachhängend zurückgelassen werden will, wird mit »Die Empfänger« sehr glücklich werden.

[Es handelt sich bei »Meinen Gedanken zu anderen Büchern« stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie freiwillig auf, weil mir danach ist.]

S. Sagenroth – Monsieur Lucile und die Suche nach dem Glück

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Nach vier Bänden ihrer A. S. Tory-Reihe beglückt uns S. Sagenroth mit einem neuen Buch, welches sich dem Glück der Glücklosen widmet.

Eine herrlich bunte Truppe begibt sich auf eine Reise durch die Zeit, um Glück und Liebe zu finden.
Oma Elsa, eine renitente Dame gehobenen Alters, sagt dem Leben im Altenheim Tschüssikowski und nimmt ihre verpeilte Enkelin Luisa, den erfolglosen und unglücklichen Autor Frederic und den Altrocker Fiete mit auf eine Reise, die ihresgleichen sucht. Oma Elsa hat nämlich ein Geheimnis:
Dank der langjährigen Bekanntschaft mit einem mysteriösen Zeitreisenden und einem besonderen Artefakt reist die Reisegruppe durch die Zeit und landet in Paris zur Weltausstellung, wo sie nicht unmaßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Picasso seine »Blaue Phase« beginnt; trifft Ende der 1920er Jahre Bertholt Brecht bei der Premiere der »Dreigroschenoper« in Berlin, kifft sich munter durch das legendäre Woodstock-Festival und wohnt der Geburt der Tschechischen Republik bei.
Da selbstredend nicht immer alles glatt läuft, muss sie sich gegen dunkle Einflüsse wehren, um letztendlich die Reise erfolgreich beenden zu können. Aber Freundschaft, Glücksempfinden und Liebe lassen die vier Zeitreisenden (inklusive zwei Ersatzspielern und Kater Chomsky) triumphieren.

Die unterschiedlichen Charaktere – wenig überraschend für diejenigen, die mich kennen, sympathisiere ich stark mit Fiete (oder Chomsky) – sind das Salz in der Suppe und auch die sich anbahnende Liebesgeschichte (und ich Romance und sowas nicht sonderlich spannend zu lesen finde), findet auch das in der perfekten Dosierung, ohne Peinlichkeit und Plattitüden, statt.

Obwohl Frau Sagenroth vermutlich erst weit, weit, weit nach Woodstock geboren sein dürfte, vermittelt sie die Stimmung der einzelnen Epochen ganz hervorragend. Es muss eine Menge Recherchearbeit gekostet haben, sich die vielen Details der Weltausstellung, der Ringvereine des Berliner Untergrunds oder auch des Woodstockfestivals so zu verinnerlichen, um diese Zeiten und Besonderheiten so lebendig präsentieren zu können.
Auch ist es ihr grandios gelungen, mich auf eine Zeitreise an sich mitzunehmen. Zeitreisen in Büchern und Filmen sind stets die Paradedisziplin, an der man großartig scheitern kann; aber wenn man, wie bei »Monsieur Lucile und die Suche nach dem Glück«, die Reise antritt, weil sie einfach so zu sein hat, ist das Phantastik feinster Güte.

Neben den geschichtlichen Aspekten kommen auch philosophische Gedanken nicht zu kurz. So sagt der Zeitenwandler an einer Stelle:

»Nichtsdestotrotz neide ich ihnen den Schaffensprozess, die kreativen Schübe, wenn sie ganz weggetragen sind, umwölkt von ihrer Musik, der Sprache oder ihren Bildern und darstellenden Werke.«

Und Oma Elsa gibt ihrer Enkelin den Rat:

»Ja, es geht, sobald du loslässt, sobald du sagst: Egal, was daraus wird. Ich habe meinen Spaß. Und den hast du in dem Moment, da du nicht mehr nach dem Warum und Wofür und was wird daraus, fragen wirst.«

Mich erinnert die Haltung an Albert Camus, der im »Mythos des Sisyphos« sagt, dass

»[…] die letzte Anstrengung für […] Künstler darin besteht, sich auch von ihren Unternehmungen befreit zu wissen: zu dem Eingeständnis zu gelangen, dass das […] Kunstwerk […] nicht sein MUSS und so die tiefe Nutzlosigkeit allen individuellen Lebens zu vollenden. Gerade das gibt ihnen mehr Leichtigkeit bei der Verwirklichung dieses Werkes, wie die Erkenntnis der Absurdität des Lebens ihnen das Recht gab, sich mit allen Ausschweifungen hineinzustürzen.«

Während manchem*r Leser*in in der Gedanke Camus’ vielleicht negativ erscheinen mag, ist es genau das Gegenteil. Das Versinken in einen kreativen Schub, die vollständige Umwölkung mit dem eigenen kreativen Handeln, ohne Konsequenzen zu bedenken oder heraufzubeschwören, ohne sich selbst als Nabel der Welt zu betrachten, und seine Kunst oder sein Handwerk überzubewerten, ist für mich wahres Glück und daher habe ich mich bei den Gedanken zu Hause gefühlt.

Weiter sagt der Zeitenwandler:

»Und das Höchste wohl ist, wenn die Freude des Zuschauers, Zuhörers oder Lesers auf seinen Schöpfer zurückfällt. Der Beifall, das Lob, die Bewunderung. Das ist der Moment, um den ich den Künstler wahrhaftig beneide.«

Wer, der jemals etwas Eigenes erschaffen und öffentlich zugänglich gemacht hat, könnte dieser Aussage auch nur im Ansatz widersprechen?

Die Playlist, die man ebenfalls in ihrem Buch findet, rundet das (Lese-)Erlebnis deutlich ab. Die Autorin webt ihre Liebe zur Musik gekonnt in ihre Geschichte ein, und was denkt ihr wohl, geschieht, wenn man beim Zeitsprung »Sympathy for the Devil« hört?

S. Sagenroth schreibt einfach großartig. Ihre Sätze fließen, die Geschichte kennt keine Hänger und wird stetig vorangetrieben, was das Buch zu einem echten Lesegenuss macht, den ich dringend benötigt habe, da mich eine Leseflaute fest in ihrer Gewalt hatte.
Frau Sagenroth ist ein Paradebeispiel für gewissenhafte Selfpublisher, die mit Leidenschaft, Hingabe und Sorgfalt beweisen, dass Bücher, für die der/die Autor*in von A bis Z selbst verantwortlich ist, mit jeder Verlagsveröffentlichung mithalten können.

Auch wenn Fiete zu der Erkenntnis gelangt – und ich diese Einstellung teile –, dass »die besten Dinge im Leben keine Gegenstände sind, sondern Momente, die du für immer in deinem Herzen trägst«, bin ich froh, dieses Buch im Regal stehen zu haben. Durch das Lesen hat sich der Gegenstand in einen Moment verwandelt, den ich nicht mehr missen möchte.

Jede*r, der/die in diesen Zeiten ein Feelgood-Time-Travel-Roadmovie nötig hat, sollte sofort zuschlagen. Oder wie Oma Elsa es sagen würde:

»Do it! Mach es einfach!«


[Es handelt sich bei „Meinen Gedanken zu anderen Büchern“ stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie auf, weil mir danach ist. Das geschieht rein freiwillig.]

Virginia Anemona – Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht

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Virginia Anemona hat ihr drittes Buch veröffentlicht. Wer ihre Bücher »Ajena und der Wasserperlenbaum« und »Ajena im Raum der Spiegel« kennt, wird ahnen, auf was er/sie sich einlässt, wenn das Buch mit dem wundervollen Titel »Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht« aufgeschlagen wird. Virginia hat die Geschichte mit den Worten »dramatischer Entwicklungsroman mit übersinnlichem Touch« beschrieben. Und das trifft den Nagel auf den Kopf.

Wir begleiten den jungen Alexander, der ein Leben wie im Knast führt. Die strengen Regeln seiner Eltern lassen ihm kaum Raum zum Atmen; doch er findet seinen Weg, um mit der eingeengten und spaßlosen Welt fertig zu werden. Seine Phantasie und Mut, die Regeln zu brechen.
Dadurch trifft er auf skurrile Weise auf seinen Nachbarn Kurt. Kurt ist der komplette Gegenentwurf zu den Eltern. Er ist verständnisvoll, liebevoll und ein echter Freund. Während Alexander bei seiner Familie schlichtweg wie eine Maschine zu funktionieren hat, darf er bei Kurt sein, wie und was er ist.
Kurt ist mehr Vater und Mutter für den Jungen, als die leiblichen Eltern. Er steht ihm in schwierigen Situationen bei, lehrt ihn Dinge, nimmt ihn ernst. Und auch der verschlossene Rentner öffnet sich dem Jungen gegenüber. Die beiden haben einander einfach gebraucht.
Als Joel und Billy auf den Plan treten, erhält die Geschichte eine düstere Wendung. Und ja … es werden Themen behandelt, die mir unter die Haut gegangen sind. Mehr möchte und werde ich inhaltlich dazu nicht sagen, gehe am Ende des Textes aber kurz darauf ein.
Durch Kurts Verbindung zu seiner verstorbenen Ehefrau Anne hält das phantastische Element Einzug in die Geschichte und ich bin begeistert, wie harmonisch und unaufdringlich Virginia diesen Teil in die (leider äußerst) realistische Geschichte integriert. Genau diese Art von Büchern liebe ich: Geschichten, deren in der Realität basierenden Ereignisse durch unerklärliche Phänomene verändert werden. Dezent, aber essentiell. Großartig. Die Szene, in der das phantastische Element eskaliert, habe ich begeistert verschlungen! Ihr werdet wissen, was ich meine … Ganz großes Kopfkino!

Zugegeben, die vielen Umarmungen zwischen Kurt und Alexander haben mich erst ein wenig skeptisch gemacht – in einer Welt wie unserer vielleicht sogar nicht zu unrecht –, aber eigentlich beschreibt Virginia Anemona nur geschickt, dass das Kind Alexander etwas bekommt, was es dringend zum Aufwachsen benötigt, und eigentlich in seiner Familie erfahren sollte: Liebe, Zuneigung und Freundschaft. (Zum »Liebe und Freundschaft« hat Virginia auch einen eigenen Beitrag in den sozialen Medien verfasst, der genau das thematisiert.)

Ein wenig habe ich mit den Ereignissen am Ende gehadert. Das Erleben einer Geschichte ist eine vollkommen subjektiv empfundene Sache, und doch denke ich, die unerwartete, dramatische Wendung, hätte etwas mehr Raum verdient oder gar nötig gehabt; doch dann wäre es nicht bei den ohnehin schon über fünfhundert Seiten geblieben und der weitere Verlauf der Geschichte entschädigt in allen Belangen.

Die Charaktere sind toll gezeichnet; man liebt die einen, hasst die anderen. Jede Figur hat ein eigenes Profil und man versinkt in der Geschichte, was durchaus schmerzhaft und unangenehm, aber auch erheiternd und wunderbar sein kann.
Die Sprache, die sie bei der Erzählung der Geschichte benutzt, ist den Figuren und Umständen angepasst. So wechseln sich klare Beschreibungen mit wunderschönen, poetischen Sätzen ab, die das Staunen, das Empfinden der Personen wundervoll auf den Punkt bringen.

»Ob eine Schneeflocke wohl auf ihre Art fühlen kann? Wie lange mag ihr Leben andauern? Oder lebt sie unendlich? Erst fällt sie, dann landet sie im Schnee, sort wohnt sie eine Weile, bis der Schnee zu Wasser zerfließt und von der Erde und ihren Gewächsen aufgesogen wird. So verschwindet die Schneeflocke nicht, sie verändert nur ihre ursprüngliche Form.«

Wenn eine Autorin es vollbringt, dass der Blutdruck steigt und man vor Wut in den Tisch beißen will, wenn bestimmte Personen auftreten und man deren Verhalten so unglaublich schrecklich empfindet (Stichwort: Kaffeekränzchen), hat sie alles richtig gemacht.

Die Umsetzung des Buches ist extrem gelungen. Das Cover, welches eine Badewanne im Garten in der Nacht mit leuchtenden Blüten zeigt, könnte wohl kaum passender und schöner umgesetzt sein. Der Buchsatz garantiert (neben der flüssig erzählten Geschichte) einen reibungslosen Lesefluss; einige Illustrationen der Autorin und auch der Autorenkollegin Paola Baldin runden das professionelle Gesamtbild ab.

Die Themen, die Virginia Anemona zur Sprache bringt, sind schwere Themen. Themen an denen Menschen zerbrechen; doch sie zeigt uns, dass es Hoffnung existiert, wenn man sich den richtigen Menschen gegenüber öffnet und sie ins Leben hineinlässt. Wieder einmal hat sie bewiesen, wie empathisch sie mit traumatischen Erlebnissen und Themen umgeht, ohne zu moralisieren. Das ist eine Fähigkeit, die nicht viele Menschen besitzen. Sie schreibt wirklich besondere Bücher, die sich zu lesen lohnen.

Ich kann »Der Mann, dessen Badewanne im Garten steht« aufrichtig empfehlen, möchte aber nicht versäumen, auf die Content-Note hinzuweisen: »Dieses Buch behandelt einige schwere Themen, die für Menschen mit Traumahintergrund problematisch sein können.« Beispielhaft möchte ich folgende Schlagworte in den Raum stellen: körperliche sowie seelische Misshandlung, sexualisierte Gewalt, Suizidgedanken. Informiert Euch vorher auf der Homepage der Autorin, in den sozialen Medien oder natürlich bei der Autorin selbst über den Inhalt, wenn ihr sichergehen wollt.

In diesem Sinne sage ich: Danke, liebe Virginia Anemona, für dieses ganz besondere Buch.

PS: Die Tatsache, dass ich das Buch als Testleser vorab lesen und Virginia somit ein klitzekleines Stück auf dem Weg zur Veröffentlichung begleiten durfte, hat keinen Einfluss auf meine Meinung zu dem Buch.


[Es handelt sich bei „Meinen Gedanken zu anderen Büchern“ stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie auf, weil mir danach ist. Das geschieht rein freiwillig.]

Sebastian Radu Groß – Dornenpfade

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In »Dornenpfade« nimmt uns Sebastian Radu Groß mit auf eine Reise durch die Jahreszeiten des Lebens.

Die kurzen Geschichten, die die Jahreszeiten einleiten und die Stimmung festlegen, gefallen mir sehr gut, und auch wenn ich kein ausgesprochener Lyrik-Fan bin, finde ich mich in den lyrischen und autobiographischen Texten, in denen ein sehr gefühlvolles und authentisches Lied auf den Kreislauf des Lebens, die Liebe und den Tod gesungen wird, wieder. Gedanken an die Großeltern, Liebeserklärungen und Briefe an die Tochter sind genau so enthalten wie Reflexionen eines Autors, der mit wachen Augen und hungriger Seele das Leben um sich herum beobachtet und in eigenen Worten zu Papier bringt.
Der/die Leser*in spürt jede Emotion des Autors und ich schätze sehr, dass die lyrischen Texte nicht überkandidelt sind; somit werden die Gedanken unweigerlich in die eigene Vergangenheit gelenkt und man verbindet das soeben Gelesene mit vor langer Zeit Erlebten, was dieses 76-seitige Buch besonders macht.

Die Umsetzung des Buches ist gut gemacht; nicht ohne Tippfehler, aber fehlerfrei sind die wenigsten Bücher (und meine schon gar nicht); doch der Inhalt ist zu packend, um sich davon stören zu lassen. Ich liebe das Foto auf dem Hardcover und der Buchsatz macht es leicht, den Texten zu folgen (ein Kriterium, welches nicht zu unterschätzen ist).

In diesem Sinne möchte ich allen Lesern*innen, die sich auf lyrische (aber nicht auf Teufel komm raus verschwurbelte) Art der lyrischen Sichtweise auf den Kreislauf des Lebens widmen wollen, das Buch und den Autor ans Herz legen. Mich hat es sehr gut unterhalten und durch die Themen und besonders deren Umsetzung inspiriert.

»Sein Umfeld,
eingekerkert in der digitalen Welt, in der Geister sterben.«

Sebastian Radu Groß – »Der letzte Mensch« aus »Dornenpfade«

Im Vorfeld gab mir der Autor mit auf den Weg, dass ich vielleicht die ein oder andere Parallele zu meinen eigenen Büchern entdecken könnte, und tatsächlich gibt es einige Stellen, die ich aus tiefstem Herzen bejahen kann, da dieselben Gedanken auch in mir präsent sind (z. B. »Der Tod und die Gastfreundschaft«, »Kerker des Moments«). Es ist spannend zu sehen, wie sehr Sichtweisen auf und Gedanken über das Leben sich in den Individuen spiegeln, obwohl die Dornenpfade, die wir beschritten haben, zwar ähnlich, doch gleichzeitig unterschiedlich sein dürften.

Das wiederum führt meine Gedanken stets zu den Themen Kreativität, Inspiration und Schöpfung. Wie viel von dem, was wir zu Papier bringen, ist der Umwelt und Gesellschaft, wie viel dem eigenen Ego, der eigenen Phantasie geschuldet? Welche Rolle spielt in einem Autorenleben der Aspekt der Doppelschöpfung, Kryptomnesie und des kollektiv Unbewussten?
Natürlich weiß ich, dass Sebastian Radu Groß mich nicht kopiert (da gäbe es sicherlich lohnendere Vorlagen) oder ich ihn; aber immer wieder entdeckt man in fremden Büchern Passagen, die man selbst so oder so ähnlich geschrieben hat, ohne diese anderen Bücher zu kennen. Ich finde dieses Thema äußerst faszinierend, da ich meine eigenen Ideen manchmal in Büchern finde, die ich erst nach dem Schreiben meines Textes gelesen habe. Und wenn der Autor, in dessen Buch ich das wiederfinde, sogar einer der Großen der Literatur ist, möchte ich an das große Meer der Inspiration, den Kosmos der kollektiv-unbewussten Ideen glauben, zu dem auch mir – aus welchen Gründen auch immer – Zugang gewährt wurde.
(Wow. Wer ist denn hier gerade mächtig abgeschweift? Aber dieses Thema ist nun mal sehr faszinierend für mich.)

Und jetzt: Besucht Sebastian Radu Groß und lest in seine Werke rein!

Ilona Arfaoui – Die Anderen

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Nach »Der König der Schatten« und »Der Hexenmeister, die Macht und die Finsternis« vervollständigt Ilona Arfaoui mit »Die Anderen« ihre Trilogie um das Schwarze Land und die Geschichte von Cahal O’Brian und seinen acht Gefährten.

Der Dunkle Meister offeriert den Erwählten und Cahal O’Brian einen Handel: Finden sie einen ganz besonderen Edelstein, wird Cahal, sofern seine Gefährten sich einstimmig dafür aussprechen, vom traurigen König der Schatten zum Hochkönig des gesamten Schwarzen Landes. Das Verhältnis der Erwählten untereinander war niemals ungetrübt und nicht alle sind freundschaftlich miteinander verbunden – sogar falls der Stein gefunden wird, ist somit nicht sicher, dass Cahal auch tatsächlich die uneingeschränkte Herrschaft über das Schwarze Land übernehmen wird. Dazu kommen natürlich noch die Intrigen und Versuche, diese gravierende Veränderung zu verhindern, von den anderen Anderen, die Cahal seit Jahrhunderten nicht wohlgesonnen sind.

Die drei Bände können einzeln gelesen werden; in »Die Anderen« greift die Autorin die Geschehnisse der beiden vorherigen Bücher auf und räumt ihnen den gebührenden Platz ein. Leser, die mit ihrem neusten Buch einsteigen, werden ohne Probleme mit auf die Reise genommen, aber in den vollständigen Genuss der Saga kommt man meiner Meinung nach nur, wenn man die gesamte Trilogie genießt. Für mich als Kenner der beiden Vorgänger waren die Rückblicke wohldosiert, haben den Lesefluss keineswegs gebremst und die Erinnerungen an die Geschehnisse aufgefrischt – und gleichzeitig dafür gesorgt, dass ich größte Lust bekommen habe, die beiden anderen Bücher erneut zu lesen.

Ilona Arfaoui schreibt anspruchsvolle Phantastik und seit einem Büchlein namens »Es« eines gewissen Stephen King wurde ich nicht mehr so herrlich durch verschiedene Zeiten, Rückblicke und aktuelle Ereignisse gejagt. Ja, der Leser muss tatsächlich immer voll bei der Sache sein, damit er in den verschiedenen Zeiten und verschiedenen Persönlichkeiten der Protagonisten nicht den Faden verliert.

Ihr Schreibstil ist (wie immer) ein Genuss; in »Die Anderen« schlägt sie einen weicheren, beinahe poetischen Ton an, denn erzählt wird die Geschichte diesmal von der wundervollen Muireall, der Herrin des Waldes, die die Leser der Vorgänger bereits lieben gelernt haben.
Die Autorin versteht es allerdings meisterhaft, die düstere Stimmung durch saloppe Wortwechsel und Gedanken der Protagonisten oder die direkte Ansprache des Lesers immer wieder aufzulockern. Die Grausamkeiten der anderen Bücher – und davon gab es reichlich – sind einer melancholischeren Stimmung gewichen. Und dieser Ton steht der Geschichte um das Schicksal der Erwählten sehr gut zu Gesicht.

Auch wenn diese Geschichte abgeschlossen ist, schossen mir nach Beendigung der Lektüre mindestens sechs Fragen spontan durch den Kopf, die ich gern beantwortet gehabt hätte. Aber um die Autorin zu zitieren:

»Nein, die Geschichte selbst ist natürlich nicht beendet. Geschichten gehen nicht zu Ende, sie gehen mit der nächsten Geschichte weiter […] Wer immer sie erzählen mag.«

Ilona Arfaoui – Die Anderen

Und genau das macht »Die Anderen« zu einem guten Buch und dem perfekten Abschluss ihrer Trilogie: Die Autorin hat uns über insgesamt 1580 Seiten eine großartige Geschichte geschenkt und lässt uns nun damit allein unseren Weg gehen, anstatt alles in Grund und Boden zu erklären. Und wer weiß, vielleicht erfahren wir ja irgendwann doch noch mehr von den Figuren, die uns über die Zeit (auf eine mitunter fragwürdige Art) ans Herz gewachsen sind?

Die Umsetzung des Buches ist rundum gelungen: Von den praktisch nichtexistierenden Tippfehlern, über den hervorragend lesbaren Buchsatz, bis zu den zehn farbigen Illustrationen von der Autorin höchstpersönlich, präsentiert sich das Buch auf einem absolut professionellen Niveau.

Durch ihren individuellen Stil und ihre einzigartige Erzählkunst, mit der Ilona von der ersten Seite der gesamten Trilogie an die Leser an die Hand nimmt, um ihnen die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele durch Zeit und Raum zu offenbaren, zählen ihre Bücher ohne Frage mit zum Besten, was ich jemals im Selfpublisher-Bereich (und darüber hinaus) gelesen habe.

Wer anspruchsvolle Geschichten sucht, bei denen Herz und Verstand gefordert werden, und die meines Erachtens in Komplexität und Umsetzung ihresgleichen suchen, besucht Ilona Arfaoui bitte in den sozialen Medien oder auf ihrer Homepage (die Auszüge aus den Büchern bietet) und lasst Euch in die Anderswelt entführen. Es wird sich definitiv lohnen.

Erhältlich ist »Die Anderen« als Taschenbuch und eBook.

[Es handelt sich bei „Meinen Gedanken zu anderen Büchern“ stets um meine rein subjektive Meinung als Leser und ich schreibe sie auf, weil mir danach ist. Das geschieht rein freiwillig.]

Monika Loerchner – Die Tote in der Tränenburg

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„Bei der Göttin!“, denkt sie kopfschüttelnd. „Jetzt glaubt ein Mann auch noch, einen Text über ein Buch schreiben zu können! Hoffentlich tut er sich dabei nicht weh. Hat er denn keinen Abwasch mehr zu erledigen?“ So oder so ähnlich könnten die Frauen dieses Buches denken, wenn sie sehen, dass ich meine Gedanken zu Monika Loerchners Buch „Die Tote in der Tränenburg“ aufschreibe.
Wie sang schon Jenny Brown? „It’s a woman’s world“.

In diesem Buch sind nämlich die Männer das schwache Geschlecht und die Autorin versteht es, spielerisch den gängigen Sprachgebrauch auf den Kopf zu stellen (das stelle ich mir sooo anstrengend vor!) und sorgt damit für manch erheiternde Situation. Aber das Lachen blieb mir auch gern mal im Hals stecken, denn auch wenn die Rollenverteilung eher aus den 1950er Jahren zu stammen scheint (hoffe ich), ist manchmal doch mehr dran, als man eigentlich glauben möchte.

Und das Ende des Buches … nein, ich werde nichts spoilern … zeigt nur, dass es egal ist, ob Männlein oder Weiblein an der Macht sind.

Aber das ist nur ein Rahmen, in dem sich die Geschichte der Spezialgardistin Magret Beatesdother bewegt. Sie hat nämlich einen komplizierten Kriminalfall zu lösen: Den Fall der Toten in der Tränenburg. In einem Waisenhaus für ungewollte Söhne wird eine Angestellte tot aufgefunden und es ist an Frau Beatesdother, diesen Fall zu lösen, bevor sie für eine Woche ihre Magie verliert.

Mehrere Verdächtige, keine vernünftige Spur, geschweige denn ein Motiv, erschweren Magret Beatesdother und ihren Kolleginnen der Goldenen Garde die Ermittlungsarbeit, aber gemeinsam mit den Charakteren durchdringen wir eine Schicht nach der nächsten, um immer weiter zum Kern der Geschichte vordringen.

Monika Loerchners Schreibstil ist herrlich leichtfüßig und ich mag die Welt, die sie erdacht hat, sehr! Sie lebt von den vielen magischen Details, der Umkehrung des gängigen Rollenverständnisses und den sympathischen Charakteren.
Besonders schätze ich an der Umsetzung das kammerspielartige Setting. Die gesamte Handlung findet an lediglich zwei Schauplätzen statt und erinnert mich dadurch, aber auch durch die Interaktion der Charaktere untereinander und den Verlauf, an ein Theaterstück aus Agatha Christies Feder.

Somit kann ich sagen, dass „Die Tote in der Tränenburg“ einerseits klassisch, aber auf wunderbare Weise auch innovativ geworden ist. Und da ich nicht wirklich weiß, was es mit Magrets Armband auf sich hat, bin ich einem weiteren Teil nicht abgeneigt.

Auf der Homepage der Autorin findet Ihr übrigens noch einige Bonusgeschichten! Vorbeischauen lohnt sich!

Nicole Siemer – Akuma

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Durch Rezensionen bin ich auf den Roman „Akuma“ von Nicole Sieber aufmerksam geworden. Geschichten, die den Genregrenzen trotzen, sind mir sehr lieb, und da mir der Klappentext einen Mix aus Fantasy, Horror und Thriller versprochen hatte, habe ich beim Stöbern in der Wortfiliale das Buch eingepackt.

Wo habt ihr schon mal eine Geschichte mit einem Dämon gelesen, der an Minderwertigkeitskomplexen und einer Identitätskrise leidet, und diese mit arschigem Verhalten und einer Neigung zu exzessiver Gewalt zu übertünchen versucht? Selbstreflexion ist jedenfalls zu Beginn ein Fremdwort für den Racker und es ist ein Genuss, die Interaktion zwischen Kjara und ihm mitzuerleben. Als sich in Kjaras Leben einiges zum Besseren zu wenden scheint, stehen große Veränderungen im Leben der beiden an, die sie auf die Probe stellen wird.

Ich werde nicht mehr zur Geschichte schreiben, denn ich denke, dass der Leser diese Welt und die vielen gelungenen Ideen auf eigene Faust erkunden sollte.
Aber was ich sagen kann und will: Was der Klappentext versprochen hat, hat die Autorin definitiv gehalten. Die Geschichte beginnt phantastisch, ist stellenweise mit blutigem Horror gespickt, bevor sich durch einen fiesen Twist eine Thriller-Ebene vor Euch auftut, um Euch zu verschlingen. Aber alles ist miteinander verwoben und liest sich nicht so starr getrennt, wie meine hölzernen Worte es vermuten lassen. Die Mischung der Genres ist hervorragend gelungen und es macht unglaublich Spaß, der Geschichte um die erfolgreiche Schriftstellerin Kjara und ihren Dämon Akuma zu folgen.

Nicole Siemer hat dieses Buch im Eigenverlag herausgebracht, aber es wundert mich bei der Qualität, ihrem großartig lesbaren Stil und der fehlerfreien Umsetzung überhaupt nicht, dass sie von einem Verlag unter die Fittiche genommen wurde.

Dieses Buch war für mich ein Genuss – sowohl, was den Plot angeht, aber auch wegen der in jeder Beziehung absolut gelungenen Umsetzung. Ich pflege meine Hoffnung, dass Akuma eines Tages wieder auftauchen wird. Der Fan-Modus leuchtet grün.

S. Sagenroth – A. S. Tory: Roadmovie um die Suche nach einer alten Single

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Wenn man mich fragt, wo ich im Corona-Sommer 2021 im Urlaub war, kann ich nun sagen: Ich habe von Balkonien aus eine Rundreise gemacht und war in England, Italien, Frankreich, Marokko und den Niederlanden.

S. Sagenroth hat mich mitgenommen auf eine Reise – einen Roadtrip, eine Schnitzeljagd. Ich liebe Schnitzeljagden! Meine Lieblingsfolgen der Drei ??? sind eindeutig die, in denen sie von Hinweis zu Hinweis geführt werden, um am Ende das Rätsel zu lösen. Und S. Sagenroth ist das ebenfalls hervorragend gelungen.

Ich habe den Trip wirklich sehr genossen! Die Autorin hat mit ihrem ersten Buch die Basis für hervorragende Charaktere gelegt.
Da haben wir den Titelhelden: Siegmund Sagenroth, genannt Sid. Sein Leben ist öde … aber welchem 15-Jährigen geht es nicht so? Sid bekommt eine E-Mail eines geheimnisvollen Mannes, der ihn auf eine Reise einlädt. Dieser Mann namens A. S. Tory verspricht ihm ein Abenteuer und kurzentschlossen sagt Sid zu. (Anmerkung: Don’t try this at home. Was in einem Abenteuerroman gut funktioniert, ist im realen Leben meistens der Beginn einer Straftat.)
Sid findet Unterstützung in der 19-jährigen Chiara; der Wildfang steht dem introvertierten Jungen auf seiner Reise bei, die zu einem gemeinsamen Abenteuer wird. Sie ist oftmals die treibende Kraft, und ihr Tatendrang und ihre Cleverness bringen sie immer weiter auf der Suche nach einer alten Single.
Mr. A. S. Tory hingegen würde, wenn er seine Energie nicht dafür einsetzen würde, die jungen Leute auf der Suche zu unterstützen, einen formidablen Superschurken abgegeben. Doch auch wenn er ein geheimnisvoller Mann ist, ist sein Ansinnen ein nobles.

Die Story ist gut ausgedacht, entwickelt einen echten Sog und es macht Spaß, sich mit Sid und Chiara auf die Suche nach einer alten Single zu begeben. Zum Ende hin erlebt die Geschichte eine Wendung und die Suche aus emotionalen Gründen bekommt einen wirklich dramatischen Beigeschmack. Dieses Thema (nein, ich verrate nicht, um was es sich handelt) ist nicht neu, aber seit einigen Jahren aktueller denn je und S. Sagenroth ist sehr gut damit umgegangen. Es überfordert die jugendliche Zielgruppe (und jung gebliebene Leser wie mich) nicht, öffnet aber eine Perspektive auf das Thema, die ich für extrem wichtig halte.

Besonders gut hat mir gefallen, dass es sowohl Gefahr und echtes Abenteuer gibt, aber meines Erachtens die Begegnungen und kleinen Erlebnisse bereits ein Abenteuer an sich darstellen. Wo erlebt man schon die Begegnung mit interessanten Menschen, eine Weinlese, eine Wildschweinjagd, wird von Fremden als Freund aufgenommen und in das Familienleben integriert oder knattert mit einer neuen Freundin durch fremde Länder und haut in einer Disko mal so richtig auf den Putz? Zuhause vor dem PC erlebt man sowas jedenfalls nicht. Es sind oftmals die leisen Momente, die das Leben so besonders machen.

Mit dem Schreibstil der Autorin bin ich sehr glücklich. Kurz, prägnant und auf den Punkt vermittelt sie Emotionen, treibt die Geschichte schnörkellos voran und lässt die verschiedenen Landschaften vor den Augen des Lesers erblühen.

Ich habe mich immer wieder dabei erwischt, dass ich dachte: Mannometer … der Sid ist echt gebeutelt, wie er so durch die Welt gescheucht wird. Ich werde wohl langsam alt. Daher konnte ich mich mit Mr. Tory ganz gut identifizieren: Der stille Mann im Hintergrund, der es anderen ermöglicht, eine gute Zeit zu erleben und sich an einer guten Geschichte erfreut. Und sein Geld hätte ich auch gern.

Warum ich mich entschieden habe, der Geschichte vier Sterne zu geben, obwohl sie mir wirklich gut gefallen hat und ich sie definitiv empfehlen kann? Weil es der Beginn einer Serie ist. Weil das Ende etwas abrupt war und vielleicht noch die ein oder andere Ausführung verdient hätte. Und weil Siegmund Sagenroth noch viel Potential hat und noch ein wenig mehr in seinen heroischen Namen hereinwachsen muss.
Aber ich bin guter Dinge, dass die nächsten drei Bände (der neuste Teil erscheint übrigens bereits im August 2021!) eine Entwicklung darstellen werden und freue mich bereits darauf, die anderen Reisen anzutreten.