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Buchkritik: Zombie Zone Germany: Der Beginn
In Deutschland wütet eine Epidemie: Die Grenzen sind dicht, Auslandsreisen verboten. Während Regierung und Medien noch verharmlosend von Einzelfällen sprechen, wächst die Zahl der Infizierten ständig! Diese Zeilen beschreiben nicht die aktuelle Corona-Krise, sondern das Setting der neusten Anthologie aus der Reihe „Zombie Zone Germany“ des Amrûn Verlags. Das Interessante dabei: Die Geschichten entstanden, lange bevor die ersten Corona-Fälle in Deutschland auftraten. Doch angesichts ihrer Themen wirken einige der enthaltenen Kurzgeschichten inzwischen geradezu prophetisch.
In Deutschland breitet sich eine Zombie-Epidemie aus und sowohl die Regierung als auch die europäischen Nachbarstaaten geben die BRD auf. Auslandsreisen werden verboten, die Grenzen militärisch bewacht. Das ist die Prämisse der „Zombie Zone Germany“ – jener Buchreihe, die der Amrûn Verlag 2015 mit der Anthologie „Zombie Zone Germany: Die Anthologie“ ins unheilige Leben rief und die inzwischen mehrere Romane und Novellen umfasst. Im Frühjahr 2020 wollte der Verlag zu den Wurzeln dieser Reihe zurückkehren. Es sollte erneut eine Anthologie erscheinen – und zwar unter dem Titel „Der Beginn“. Geplant war, die Anthologie Mitte März auf der Leipziger Buchmesse zu präsentieren. Es hätte ein großes Ereignis für den Kleinverlag sein können – und ebenso für mich, der extra schon Hotel und Bahnreise gebucht hatte, um auf der Buchmesse live dabei sein zu können.
Doch es kam anders: Corona führte dazu, dass die Leipziger Buchmesse wie zahlreiche andere Großevents abgesagt werden musste. Das Buch über eine fiktive Epidemie musste aufgrund einer echten Pandemie ohne Messeauftritt veröffentlicht werden. Und das ist schade, denn diese Veröffentlichung hätte meiner Meinung nach mehr Aufmerksamkeit verdient.
Die Zombie Zone ist überraschend aktuell
Wer schon einige Artikel dieses Blogs gelesen hat, dürfte wissen, dass mich im Horrorbereich vor allem fasziniert, wie das Genre gesellschaftliche Ängste aufgreift. Und die von Claudia Rapp herausgegebene Anthologie ist in dieser Hinsicht doppelt interessant, denn die Wirklichkeit hat die Schreckensvisionen in den Zombiegeschichten längst eingeholt. Natürlich wandern in Deutschland keine Zombies herum. Doch viele Aspekte, die in den Kurzgeschichten behandelt werden, gewinnen durch Corona auch in der realen Welt an Bedeutung. In mehreren Stories fühlen sich Prepper und Weltuntergangs-Propheten, die seit Monaten Vorräte anlegen, durch die Zombie-Epidemie bestätigt. In Oliver Bayers herausragender Kurzgeschichte „Take Off Plan“ gibt es Überlegungen, ob man nicht wieder Konzerte und Bundesliga-Spiele stattfinden lassen sollte, um Deutschland dadurch ein Stück Normalität zurückzugeben. Und in „Himmel und Hölle“ fasst Stefan Schweikert die Spekulationen zur Epidemie folgendermaßen zusammen:
Gerüchte und Theorien verbreiteten sich wie die Zombies selbst. Ein unbekanntes Virus? Chemische oder biologische Kampfstoffe? Gentechnische Experimente? Die CIA, der IS, die USA, China, Russland, Aliens, Götter, Hohlweltler, das internationale Kapital oder habgierige Konzerne?
Viele Autoren beschreiben mit feinem Gespür Ängste und Sorgen der Menschen, die genau jetzt angesichts einer tatsächlichen Seuche überall sichtbar werden. Insofern sind nicht nur die Geschichten an sich faszinierend, sondern auch die Parallelen zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Meine Bewertung von „Zombie Zone Germany: Der Beginn“
Doch interessanter als die Veröffentlichungshintergründe von „Zombie Zone Germany: Der Beginn” dürfte für Horrorfans vor allem eine Frage sein: Überzeugen die Kurzgeschichten selbst durch Inhalt und Sprache?
Zunächst einmal möchte ich die ungeheure Vielfalt der unterschiedlichen Kurzgeschichten hervorheben: Neben actionreichen Überlebensgeschichten jugendlicher Protagonisten findet man satirisch überspitzte Erzählungen desillusionierter Misanthropen sowie anrührende Geschichten normaler Durchschnittsmenschen, die angesichts der schrecklichen Ereignisse entweder über sich hinauswachsen oder sich resignierend ihrem Schicksal ergeben.
Das ist sowohl Stärke als auch Schwäche der Anthologie: Wer gerne erfahren möchte, mit welch unterschiedlicher Tonalität man Zombiegeschichten erzählen kann, der kommt an der neusten Veröffentlichung des Amrûn Verlags kaum vorbei. Wer aber bestimmte Eigenheiten dieses Horror-Subgenres nicht mag, der wird innerhalb der Anthologie wahrscheinlich auch auf Geschichten stoßen, die ihm nicht zusagen. Das trifft aber auf zahlreiche Anthologien zu, die statt auf stilistische Einheitlichkeit Wert auf Vielfalt legen. Für mich selbst sind Anthologien daher vor allem Testwiese, auf der ich Geschichten bislang eher unbekannter Autoren kennenlernen kann. Die Autoren, die mich überzeugen, behalte ich weiter im Auge und kaufe dann gespannt ihre Folgeveröffentlichungen.
Für mich persönlich ein kleiner Wermutstropfen war die hohe Zahl abgeklärter Einzelgänger als Protagonisten, die alles mit bildreicher Vulgärsprache oder lakonischen Zynismus kommentierten. Das ist aber nicht den einzelnen Geschichten anzulasten, von denen einige wirklich gut geschrieben sind (mein Favorit in dieser Sparte ist Ian Cushings schon fast grotesk überspitzte Geschichte „Der Erlöser“). Nur in der Gesamtheit wirkte die Zombie Zone auf mich etwas überbevölkert mit zynischen und dauerfluchenden Menschenhassern. Aber wer weiß: Vielleicht wären es am Ende tatsächlich solche Leute, die die Zombie-Apokalypse überleben. Und viele andere Leser werden die Anthologie gerade für solche Geschichten lieben.
Meine persönlichen Highlights der Anthologie
„Zombie Zone Germany: Der Beginn” enthält insgesamt 19 Kurzgeschichten. Folgende Auswahl meiner Lieblingsgeschichten ist natürlich von meinen persönlichen Vorlieben geprägt. Bei Zombiegeschichten interessieren mich vor allem jene, die den Fokus auf die sozialen und charakterlichen Veränderungen legen, die aus der ständigen Bedrohung resultieren. Wer vor allem auf abgefahrene Splattergeschichten mit hohem Killcount steht, der wird bei „Der Beginn” zwar ebenfalls fündig, dürfte aber ganz andere Highlights haben als ich.
- Wodka und Die Dornenvögel: Monika Loerchers Protagonistin erzählt im von Galgenhumor geprägten Plauderton von den Vorbereitungen, aus ihrer Wohnung aufzubrechen. Sie möchte andere Überlebende finden. Die sachlichen Überlegungen darüber, auf welche zivilisatorischen Leistungen eine neue Gesellschaft verzichten müsste, sind dabei deprimierender, als jedes Zombiegemetzel es jemals sein könnte. Eine bittersüße Geschichte, in der es um Hoffnung und die Überlebenschancen in einer Welt voller Zombies geht.
- Der Erlöser: Vorab – ich hab inzwischen eigentlich genug von Einzelgängern, die als schnoddrige Ich-Erzähler metaphernreiche Unverschämtheiten raushauen. Und auch Horrorkomödien sind eher selten mein Fall. Alle Vorzeichen sprachen also dafür, dass ich Ian Cushings „Der Erlöser” nicht mögen würde. Dass die Geschichte trotzdem in meiner Favoriten-Liste steht, lässt sich also nur auf das außerordentliche handwerkliche Können des Autors zurückführen. Ian Cushing erzählt grotesk überspitzt und humorvoll die Geschichte eines Mannes, der die Zombie-Apokalypse im Zimmer eines Mehrfamilienhauses erlebt. Dabei treibt der Autor diverse Horrorklischees auf die Spitze und stellt gleichzeitig das ausgelutschte Konzept der hübschen Maid in Nöten, die vom tapferen Recken gerettet wird, vollkommen auf den Kopf. Wenn ich ein Traumpärchen des Horrors küren müsste, dann fände ich es in dieser Kurzgeschichte.
- Take Off Plan: Oliver Bayer erzählt eine nachdenkenswerte Geschichte über Moral und Verantwortung, in der sich eine Reporterin entscheiden muss, ob sie ihr eigenes Leben auf Kosten eines anderen Menschen rettet. Eine starke Story und in dieser Anthologie eine der Geschichten, die mich am meisten beeindruckt hat.
- #zombizoned: Die Kurzgeschichte von K.T. Jurka ist knapp auf den Punkt formuliert und mit ordentlich Drive erzählt. Für die Handlung spielt die Kommunikation über Twitter eine zentrale Rolle. In „#zombizoned” tauschen sich regierungskritische Bürger via Twitter-Nachrichten über neue Infektionsherde und Zombieattacken aus. Egoismus und der Kampf zwischen innerer Aufgabe und Überlebenswillen sind zentrale Themen dieser Geschichte.
- Seilschaft: Saskia Hehl erzählt die Geschichte eines Mannes, der während eines Kletterausflug den Beginn der Zombiekatastrophe zunächst verpasst. Als er schließlich davon erfährt, macht er sich auf den Weg, um einen befreundeten Bergsteiger zu retten. Die Geschichte ist straff und ohne unnötige Umschweife erzählt, die Autorin fängt die Gebirgslandschaft in manchmal fast schon poetischer Sprache gekonnt ein. Was mir besonders an dieser Geschichte gefallen hat, ist, dass der Hauptcharakter in seiner Normalität absolut glaubwürdig wirkt. Er ist weder wichtiger Entscheidungsträger noch zynischer Misanthrop, sondern einfach ein verantwortungsvoller Mann, der versucht, das aus seiner Sicht Richtige zu tun.
- Himmel und Hölle: Die Geschichte von Stefan Schweikert handelt von einem männlichen Mitvierziger, der sich viele Ziele gesetzt hat und nur wenige davon erreicht. Inmitten der Zombie-Apokalypse stößt er auf die ebenso junge wie hübsche Silvia. Trotz des Titels ist „Himmel und Hölle” auf angenehme Weise geerdet. Die Geschichte macht schnell deutlich, dass man nicht ohne weiteres zum frauenumschwärmten Zombiekiller wird, sobald sich die ersten Untoten zeigen. Wer zuvor ein Weichei war, wird es auch während einer Zombie-Epidemie äußerst schwer haben.
- Der König der Kaffeekannen: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf!“, das wussten schon die antiken Römer und das weiß auch Jürgen Höreth, der in seiner Kurzgeschichte den meiner Meinung nach unsympathischsten Antagonisten der gesamten Anthologie geschaffen hat. Die ganze Geschichte über habe ich auf sein schnelles Ableben gehofft. Solch hassenswerten Bösewicht zu schreiben, ist eine respektable Leistung.
So viel zu meinen persönlichen Highlights. Aber auch abseits der oben genannten Geschichten sind viele der Kurzgeschichten sehr solide. Wer es gern etwas temporeicher mag, der wird wahrscheinlich Lisanne Surborgs „Prepapocalypse” zu seinen Favoriten zählen. Matthias Ramtkes Ballon-Tragödie „Emma” hat mir ebenfalls gut gefallen. Aber natürlich gab es auch einige Geschichten mit Schwächen, auf die ich nachfolgend kurz eingehen werde.
Auch in der Zombie Zone gilt: Wo Licht ist, da ist auch Schatten
Obwohl mir die meisten Geschichten in „Zombie Zone Germany: Der Beginn” gefallen haben, gab es doch einige, die ich nur mit Überwindung zu Ende lesen konnte. Bei einzelnen Geschichten mag das Geschmackssache sein: So gibt es sicherlich Leute, die sich darüber freuen, wenn das Feeling trashiger Zombiefilme seine literarische Entsprechung findet. Wenn Jugendliche aber miterleben, wie Verwandte, Freunde oder Bekannte zerrissen werden oder sich in Zombies verwandeln, und dann Augenblicke später bereits heiter darüber debattieren, mit wem sie gern ein sexuelles Abenteuer hätten, dann entlockt das mir nur noch ein genervtes Augenrollen. Insbesondere dann, wenn die Dialoge gleichzeitig stark nach „So stellen sich Erwachsene Jugendsprache vor” klingen. Und es gibt in einigen Geschichten manchen Dialog, in dem sich Protagonisten ausgiebig Dinge erzählen, die sie schon längst voneinander wissen müssten (was eine eher unelegante Art ist, dem Leser Infos zukommen zu lassen. In englischen Sprachraum nennt man diese Neigung von Autoren, ihre Figuren dauernd altbekannte Dinge wie Familienhintergründe, das eigene Alter usw. erzählen zu lassen, auch „As you know, Bob”-Syndrom).
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Erzählperspektive. So sind recht viele Geschichten aus der Ich-Perspektive geschrieben. Im Normalfall ermöglicht das keinerlei Distanz zur Hauptfigur: Der Erzähler ist der direkt Erlebende. Dementsprechend muss der Erzählton auch der Situation und der Gefühlslage der Hauptfigur entsprechen. Einzige Ausnahme ist das nachträglich niedergeschriebene Erlebnis (sei es als Brief, Tagebuch oder Roman). In Ian Cushings „Der Erlöser” wird beispielsweise schnell deutlich, dass der Erzähler die Geschichte nachträglich erzählt. Daher wirkt es auch nicht unglaubwürdig, wenn er selbst in extremen Gefahrensituationen das Geschehen ausführlich und bildreich beschreibt. Die Gefahr ist ja bereits vorüber und wird nachträglich ausgeschmückt. Wenn man aber praktisch live in die Figur schlüpft, bietet die Ich-Erzählung viele Fallstricke. Die besseren Geschichten blenden bei Tod oder Bewusstlosigkeit ab: Die Figur kann schließlich nichts erzählen, was sie selbst nicht mehr erlebt! Aber leider gibt es in „Zombie Zone Germany: Der Beginn” auch negative Ausnahmen. [Es folgt ein Mini-Spoiler, denn der Titel der Geschichte wird nicht genannt] Beispielsweise, wenn der Ich-Erzähler sich in einen geistlosen, von Hunger getriebenen Zombie verwandelt, aber gleichzeitig in korrekter Grammatik und formvollendeten Deutsch weiter aus der Ich-Perspektive erzählt, was gerade mit ihm passiert. Bei sowas bricht die Erzählperspektive einer eigentlich überzeugenden Geschichte das Genick.
Fazit zu „Zombie Zone Germany: Der Beginn“
Mit „Zombie Zone Germany: Der Beginn“ hat der Amrûn Verlag ein Werk geschaffen, das angesichts der Corona-Krise unerwartet aktuell geworden ist. Prepper, Verschwörungstheorien über Twitter, enttäuschte Hoffnungen in die Regierung, Isolation aus Angst – zahlreiche dieser Themen spielen in den Kurzgeschichten eine tragende Rolle und prägen inzwischen auch unser reales Leben. Insofern ist die Anthologie gleich doppelt interessant: Einmal als Sammlung spannender Zombiegeschichten, aber auch als Veröffentlichung, die gesellschaftliche Entwicklungen praktisch vorgegriffen hat.
Die Anthologie bietet stilistisch eine große Vielfalt, was für Abwechslung sorgt, aber auch bedeutet, dass Leser mit ganz spezifischen Stil-Vorlieben nicht bei jeder Kurzgeschichte auf ihre Kosten kommen. Auch die handwerkliche Qualität der Storys variiert: Neben kleinen Meisterwerken gibt es auch einige eher zähe Geschichten. Insgesamt sind die meisten Kurzgeschichten aber solide erzählt. Und allein das etablierte Setting der Zombie Zone ist schon überaus interessant, ermöglicht es doch zahlreiche Verweise auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Etwas, was spätestens seit George A. Romero viele gute Zombie-Geschichten auszeichnet.